Gruberova: Belcanto als Seelendrama
VON GERHARD KRAMER [Die Presse 7 Feb 05]
Für Edita Gruberova hat die Staatsoper eine konzertante Fassung von Vicenzo Bellinis “Norma” aufs Programm gesetzt.
Endlose Begeisterung, Blumen, Stan ding ovations dankten Edita Gruberova und ihren Mitstreitern für einen packenden Opernabend, der die szenische Aufbereitung keinen Augenblick vermissen liess. Gerne verzichtete man darauf, die zeitgebundene Schauerromantik der Druiden und ihrer Opferriten anno 50 v. Chr. leibhaftig vor sich zu sehen. Und mehr noch: Keine Regie-Eitelkeit lenkte von der puren Musik ab.
Denn gerade hier, in Bellinis Chef d’oeuvre (1831), spielt sich ja das Seelendrama der Titelheldin als sündige Priesterin, verlassene Geliebte und verzweifelte Mutter fast ausschliesslich im tragischen Aufschrei, den wildgezackten Fiorituren aber auch den verhaltenen Lyrismen der Singstimme ab. Dieser enormen Anforderung hat sich Gruberova vor kurzem erstmals gestellt. Und sie wird ihr – als Höhepunkt ihrer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Belcanto – heute in hoher Vollkommenheit gerecht. Besonders faszinierend: Die enorme Spannweite zwischen der dramatischen Kraft der Ausbrüche und der gewohnten Meisterschaft im Ausspinnen zartester, berührendster Pianissimo-Phrasen auch des “messa di voce”, des verhaltenen Ansetzens einzelner Töne und ihres An- und Abschwellens. Unverändert ist auch die lockere Brillanz der Koloraturen; woran es ein wenig mangelt, ist die Substanz in der Tiefe, die die Gruberova durch quasi “naturalistisches” Sprechen kaschiert. Insgesamt eine grosse Leistung, die an berühmten Vorbildern zu messen allzu billig wäre.
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